Peter Filby über TVR – 730 Seiten für 6.000 Sportwagen (Buchbesprechung)
Autor: Bruno von Rotz / zwischengas.com
TVR ist eine englische Sportwagenmarke, die trotz ihrer langen Geschichte im Vergleich zu Marken wie Triumph, Aston Martin, Maserati oder De Tomaso relativ unbekannt geblieben ist, trotz mehreren Teilnahmen in Le Mans und einer fast unüberschaubaren Typenpalette.
Zwischen 1956 und 1981 produzierte die Firma TVR (und daraus hervorgegangene und wieder eingestellte Unternehmen) rund 6’000 Fahrzeuge, im Schnitt also weniger als 200 pro Jahr. Trotz dieser überschaubaren Produktionsziffer gibt es rund ein Dutzend Bücher, die sich mit der Marke TVR beschäftigen. Das erste Werk stammt aus der Feder eines gewissen Peter Filby, der 1976 mit “TVR – Success Against the Odds” ein vielbachtetes Werk schuf, das heute als Sammlerstück gefragt ist. Damals konnte er natürlich nur die die ersten 20 Jahre abdecken, aber die Geschichte von TVR ging natürlich weiter. Grundsätzlich können heute drei Epochen unterschieden werden:
- Die frühen Jahre mit Trevor Wilkinson und den Auf und Abs bis 1966 (die Grantura- und Griffith-Jahre)
- Die “Martin Lilley” Epoche von 1965 bis 1981
- Die “Peter Wheeler” Epoche ab 1981 bis in die Neunzigerjahre
Die erste Epoche, die den Hauptteil des ursprünglichen Buches ausmachte, arbeitete Peter Filby im vor zwei Jahren erschienen Buch “TVR Volume One – The Early Years” neu auf, die zweite Epoche liegt jetzt im Buch “TVR Volume Two – A Passion to Succeed – The Martin Lilley Era” seit einigen Wochen vor.
Was jetzt also in zwei Büchern von 730 Seiten Umfang seinen Platz gefunden hat, nahm 1976 gerade einmal 220 Seiten in Beschlag. Alleine daran kann man ablesen, mit welcher Rigidität Filby ans Werk ging. Und er stellt auch bereits den dritten Band in Aussicht, der dann die Autos mit den V8-Rover-Motoren (u.a. Griffith/Chimaera), aber auch mit den von TVR selbst entwickelten AJP Sechs- und Achtzylinder-Motoren (u.a. Cerbera, Tamora, 350T, Tuscan, Sagaris, etc.) beschreiben wird.
Vielfalt in der Martin Lilley Epoche
Die Dinge standen nicht gut bei TVR, als Martin Lilley 1965 die Überbleibsel von Grantura Engineering übernahm. Was folgte, waren manche Erfolge, aber auch einige Fehler. Insgesamt aber kam TVR recht gut über die Runden und produzierte mit dem Vixen und der M-Baureihe ausserordentlich erfolgreiche Modelle.
Historisch aufgearbeitet
Peter Filby hat sein neues 480 Seiten starkes Werk wie schon die Vorgänger entlang der Zeitachse organisiert. Jahr um Jahr geht er vorwärts, beschreibt entwicklungs- und verkaufstechnische Meilensteine und vergisst auch die rennsportlichen Einsätze, die in dieser Periode meist den Privatfahrern überlassen wurden, nicht zu dokumentieren. Ergänzt wird das Buch durch ein Vorwort von Martin Lilley und einer Auflistung aller Modelle.
Reichhaltig illustriert
680 Fotos und Illustrationen hat Peter Filby zusammengetragen. Die ganze TVR-Community hat ihm geholfen, hat aktuelles, aber auch historisches Bildmaterial spendiert, das jetzt gerade dieses Buch zu einer überdurchschnittlich vollständigen Dokumentation der verschiedenen TVR-Modelle macht. Selbst von den seltensten Typen gibt es mehrere Fotos. Spannend sind insbesondere auch die vielen Fotos, die anlässlich von Präsentation an der Earls Court Motor Show in London geschossen wurden.
Sex does sell cars
Dass ein ganzes Kapitel mit der nicht ganz unbekannten Weisheit, dass Sex dem Autoverkauf durchaus hilfreich sein kann, überschrieben ist, kann nicht als Zufall gewertet werden. Tatsächlich war es TVR, die mehrfach mit halb- oder ganz nackten Modellen dafür sorgten, dass ihre Präsentation an den Autosalons nicht in der Menge untergingen. Heute kaum mehr vorstellbar, gelang TVR dieser PR-Coup sogar zweimal, nämlich 1970 und 1971. Zahlreiche, teilweise bisher kaum gezeigte Bilder dokumentieren die einzelnen Auftritte auf eindrückliche Weise.
Aufschwung mit Vixen, Tuscan
Die ersten Jahre der Lilley-Epoche wurden von zwei Modellen dominiert, dem Tuscan, einem neuaufgelegten TVR Griffith mit amerikanischer V8-Power und dem Vixen, sozusagen der Nachfolger des Grantura. Dank dieser beiden Modelle und deren stetigen Weiterentwicklung mit verschiedenen Motoren überlebte TVR die Sechzgierjahre. Die ersten 200 Seiten sind hauptsächlich diesen beiden Typen und ihren Evolutionsformen gewidmet.
Die populäre M-Baureihe
Der grosse Erfolg kam dann mit der M-Baureihe, die Fahrzeuge von 1,3 bis 3,0 Liter Hubraum und sogar mit Turbo hervorbrachte. 32 Jahre nach dem letzten offenen TVR präsentierte Martin Lilley 1978 sogar wieder einen Roadster, den 3000 S. Und mit dem Taimar gab es erstmals ein Heckklappenmodell. Kein Wunder widmet Filby dieser Modellreihe immerhin 170 Seiten. Und im Bildmaterial finden sich nicht nur die Ergebnisse der Crash-Test-Versuche, sondern auch ein von der IRA in die Luft gejagter 1600 M.
SM/Zante
Neben den bekannten Modellen kommen aber auch Versuche und Fehlversuche zum Wort, so zum Beispiel den SM von 1971, der später Zante genannt wurde. Der SM zeigte eine deutliche Abkehr vom damals üblichen TVR-Design, war er doch stark keilförmig angelegt mit bis zum Heck ansteigender Gürtellinie. Trotz vieler Interessensbekundungen, sogar Lotus-Chef Colin Chapman schlich an der Motorshow mehrmals um den Wagen, wurde nichts aus diesem Prototyp, erst 9 Jahre später präsentierte TVR mit dem Tasmin einen keilförmigen Sportwagen, der designmässig so provokativ war, dass mancher TVR-Fan der Marke die kalte Schulter zeigte.
Anekdoten und Geschichten am Rande
Filbys Buch strotzt nur so von Anekdoten und Randgeschichten. Er berichtet genauso über Marin Lilleys Plan Ferrari-Daytona-Kopien zu bauen, wie über die Idee des Verkaufschefs Stewart Halstead, der schon anfangs der Achtzigerjahre einen 3000 S Roadster mit Rover-V8-Herz auf den Markt bringen wollten.
Nicht für alle, aber auch nicht nur für TVR-Besitzer
Wer soll dieses Buch kaufen? Ein Werk, das kaum eine Frage unbeantwortet lässt und die schlussendlich nicht wirklich zahlreichen Modellvarianten auf derart viele Bildern zeigt? Nun, für den TVR-Fan ist dieses Buch sicher ein Muss. Aber auch Leser, die ein grundsätzliches Interesse an der englischen Kleinserien-Sportwagenindustrie haben, sei das Werk ans Herz gelegt. Die differenziert erzählte Geschichte zeigt, womit die englischen Nischenhersteller zu kämpfen hatten und wie sie sich durchzuschlagen wussten.
Mit £ 60 ist das Buch kein Sonderangebot, aber es ist den Preis wert, wenn man sich wirklich dafür interessiert. Es ist kein typisches “Coffee-Table-Book”, denn der eigentliche Reiz des Werks offenbart sich erst, wenn man es Seite für Seite durchliest. Wer dafür keine Lust oder Zeit hat, sollte sich den Kauf zweimal überlegen. Und natürlich sollte der geneigte Leser über ordentliche Englisch-Kenntnisse verfügen.
Wer zugreifen will, solle sich vielleicht auch gleich noch den Band 1 dazu bestellen, der aktuell zum herabgesetzten Preis von £ 30 verkauft wird. Die Bücher sind über die Website des Verlages erhältlich: www.tvrbooks.com .
Bibliografische Angaben zum vorgestellten Buch
- Titel: TVR Volume Two – A Passion to Success – The Martin Lilley Era 1965-1981
- 480 Seiten, über 680 Fotos/Illustrationen, Format 287mm x 230 mm, gebunden mit Schuber
- Autor: Peter Filby
- Erschienen 2012
- Sprache: Englisch
- Verlag: Autocraft Books, North Building, 1 Howard Road, Reigate, Surrey RH2 7JE
- ISBN 978 0 9545729 2 1
- Bestellen auf www.tvrbooks.com
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